Brexit geht in die Verlängerung
Nach dem EU-Sondergipfel sehen sich die Deka-Experten in ihrer Prognose bestätigt und gehen weiter von einem geordneten Brexit aus.
„Selbst ein ungeregelter Brexit hätte keine weitreichenden Auswirkungen auf die Märkte“, sagt Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie der DekaBank, und ist zuversichtlich, dass nicht mal dann die Prognosen für die Weltwirtschaft wesentlich gesenkt werden müssten. Gleiches gelte für das globale Gewinnwachstum der Unternehmen. „Abgesehen von einer zeitlich begrenzten Stimmungseintrübung sollten die Aktienmärkte selbst durch einen nun noch unwahrscheinlicher gewordenen ungeregelten Brexit nicht aus der Bahn geworfen werden. Dementsprechend wird ein solches Ereignis keinen Einfluss auf die langfristigen Aktienmarktprognosen haben“, so Schallmayer.
„Insgesamt geht der Markt mit dem Thema Brexit wenig emotional um“, so der Experte weiter, der auf eine Parallele zur Stimmung bei den Bundesbürgern verweist. Zwar sei der Brexit aktuell eines der wichtigsten politischen Themen, beruflich und privat sähen sich aber die Wenigsten hierzulande davon betroffen, wie das Ergebnis des jüngsten Deka-Anlegermonitors zeige: Nach diesem gehen 69 Prozent aller Deutschen davon aus, dass sie der Austritt Großbritanniens aus der EU weder beruflich noch privat betreffen werde.
Junge Erwachsene fühlen sich der Befragung zufolge von einem möglichen Austritt Großbritanniens deutlich mehr betroffen als andere Altersklassen. Der Unterschied zwischen der jüngsten (18- bis 29-Jährige) und der ältesten Befragungsgruppe (60 plus) liegt bei 33 Prozentpunkten. Auch bei den Geschlechtern sind Unterschiede erkennbar: Männer fühlen sich weniger betroffen (73 Prozent) als Frauen (66 Prozent). „Während der Brexit vor allem die Politiker sicherlich noch eine Weile beschäftigen wird, gibt es für die Aktienmärkte wichtigere Treiber. Ein zentraler Faktor für die bisherige gute Wertentwicklung ist zum Beispiel die deutliche Kehrtwende der Notenbanken“, kommentiert Schallmayer.
Kurswechsel im Königreich
Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten auf einem Sondergipfel einer erneuten Verschiebung des Brexits zugestimmt – diesmal bis maximal zum 31. Oktober. Die Briten dürfen allerdings auch schon früher austreten, sollten sie sich schon vorher einigen und das Austrittsabkommen mit der EU absegnen. Beim EU-Gipfel Mitte Juni soll es eine Überprüfung geben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte den Brexit lediglich bis zum 30. Juni verschieben, viele andere Staats- und Regierungschefs favorisierten dagegen einen Aufschub bis Jahresende oder darüber hinaus.
Vorausgegangen war eine Kursänderung der britischen Premierministerin Theresa May am 2. April, nachdem die Abgeordneten Mays Brexit-Deal auch bei der dritten Abstimmung abgelehnt hatten – und auch bei den Testabstimmungen zu alternativen Brexit-Ansätzen keine Mehrheiten hervorbringen konnten. Jetzt setzt May auf eine gemeinsame Lösungssuche mit der Opposition, um einen No-Deal-Austritt zu vermeiden. Zwar ist der eine Teil des Brexit-Deals, der das Abkommen zum EU-Austritt beinhaltet, nicht mehr mit der EU verhandelbar, wohl aber der andere Bestandteil des Deals, nämlich die Erklärung über die zukünftigen Handelsbeziehungen zur EU. Hierzu gibt May nun ihre harte Ablehnung einer Zollunion auf. Denn der Oppositionsführer und Chef der Labour-Partei Jeremy Corbyn favorisiert einen EU-nahen Ansatz – mit Zollunion und Zugang zum EU-Binnenmarkt.
Eine Zollunion hatte bei den Testabstimmungen im britischen Parlament neben dem Referendum den höchsten Zustimmungsanteil unter den zur Abstimmung gestellten Brexit-Ansätzen erzielen können. Diese Art der künftigen Beziehungen würde die EU nur begrüßen und könnte dafür die politische Erklärung im Brexit-Deal schnell anpassen – laut EU-Chefunterhändler Michel Barnier innerhalb von 48 Stunden. Ein mit Blick auf die Handelsbeziehungen softerer Brexit könnte also zu einem neuen Brexit-Deal werden, dem „May-Corbyn-Deal“. Seine Chancen auf eine Parlamentsmehrheit dürften höher sein als die des ursprünglichen May-Deals.
Großbritannien nimmt an Europawahlen teil
Das britische Parlament hat nun viel zu tun. Ein Brexit-Deal dürfte von der Regierung erneut zur Abstimmung vorgelegt werden. Sollte dieser, eventuell auch ein May-Corbyn-Deal, immer noch nicht mehrheitsfähig sein, soll laut May das Parlament entscheiden, wie es weitergeht. Die lange Brexit-Verschiebung hat jetzt die Teilnahme der Briten an den Europawahlen zur Folge und wird die bekannten Brexit-Optionen wieder neu zur Diskussion stellen – inklusive Referendum, Neuwahlen, Rückzug der Austritterklärung und No-Deal-Austritt.
„Ein geordneter Brexit mit Deal bleibt unser Hauptszenario“, betont auch Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater. Einem No-Deal-Austritt hatte die Deka bislang schon eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit beigemessen. Jetzt wird er seitens der Briten sogar per Gesetz verhindert, indem die Regierung im Falle einer No-Deal-Gefahr zu einer Brexit-Verschiebung verpflichtet wurde.
Quelle: Fondsmagazin
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