Der Einstieg ins Wertpapiergeschäft
Vor 110 Jahren erfolgte bei den Sparkassen der Einstieg in das Wertpapiergeschäft. Wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges begann das Deutsche Reich mit der Ausgabe von Anleihen, die zur Finanzierung der Kriegsführung dienten. Die Allgemeinheit war aufgerufen, in patriotischer Pflichterfüllung diese Kriegsanleihen zu zeichnen. Sie wurden als „Volksanleihen“ beworben. Nach dem Sieg wollte der Staat seine Schulden dann den unterlegenen Gegnern aufbürden und diese, wie 1871 Frankreich, Entschädigungen zahlen lassen.
Er erlaubte, dass die Sparkassen Zeichnungsstellen wurden und Vermittlungsgebühren von der Reichsbank bekamen. Auf die weitverbreiteten kommunalen Geldinstitute und die vielen „kleinen Sparer“ konnte nicht verzichtet werden. Im Auftrag und auf Rechnung ihrer Kunden kauften Sparkassen Kriegsanleihen. Genehmigt wurde ihnen auch eine neue bankmäßige Dienstleistung. Sie konnten die Wertpapiere für die Kundschaft in „offenen Depots“ verwahren und verwalten. Mancherorts gab es auch Mietschließfächer. Für die deutschen Sparkassen bedeuteten die Kriegsanleihen eine plötzliche Hinwendung zum Wertpapiergeschäft mit breiten Kundenschichten. Das war ein weiterer Schritt in ihrer Entwicklung zu modernen Universalinstituten.[1]
Mit viel Propaganda wurden die Anleihen unters Volk gebracht. Sie brachten mit 5 Prozent mehr Zinsen als Sparbücher. Bei den Sparkassen in Löbau und Zittau sowie in den zugehörigen sächsischen Verwaltungsbezirken gab es 1914 beispielsweise 3,5 Prozent Zinsen.[2] Zahlreiche Menschen kündigten Guthaben und investierten das Geld in die mündelsicheren Reichsanleihen. Auch neue Ersparnisse legten sie so an. Im Laufe des Krieges nahmen aber auch die Einlagen bei den Sparkassen zu. Der Staat erhöhte damals nämlich die Geldmenge. Durch Sparen wurde Kaufkraft abgeschöpft. Es gab sogar Initiativen zur Mobilisierung geringer Beträge beispielsweise von Kindern (Schulsparbücher) oder von Soldaten (Sparkarten)[3], die dann in Kriegsanleihen investiert wurden.
Die letzte Auflage der Kriegsanleihen erfolgte im Oktober 1918. Selbst der Staatssekretär der damaligen ersten parlamentarischen Reichsregierung, Philipp Scheidemann, ermunterte zur Zeichnung. Der Krieg war aber verloren. Nach dem Waffenstillstand am 11. November verkündete die Revolutionsregierung unter Friedrich Ebert, dass die Anleihen nicht für ungültig erklärt würden.[4] In neun Auflagen brachten sie dem Staat 1914 bis 1918 insgesamt rund 97 Milliarden Mark ein. Auf die Sparkassen entfiel ein Viertel.[5] Die Beiträge von Großsparkassen waren erheblich. Bei der Oberlausitzer Provinzialsparkasse zu Görlitz erfolgten etwa 43.521 Zeichnungen über 44,9 Millionen Mark. Die Flächensparkasse investierte selbst 33,9 Millionen Mark.[6] Die Görlitzer Stadtsparkasse stellte 33,5 Millionen Mark bereit. Daneben erfolgten rund 20.000 Einzelzeichnungen über 20,2 Millionen Mark von Kunden.[7]
[1] Vgl. Ashauer, Günter: Von der Ersparungscasse zur Sparkassen-Finanzgruppe. Die deutsche Sparkassenorganisation in Geschichte und Gegenwart, 1991, S. 227.
[2] Vgl. Zeitschrift des Sächsischen Statistischen Landesamtes, 64./65. Jg., 1919, S. 230 ff.
[3] Vgl. Einert, Thomas: Die Kriegsanleihe-Sparkarte, 19.11.2018, in: https://www.sparkassengeschichtsblog.de/die-kriegsanleihe-sparkarte/#start
[4] Vgl. Erlass der neuen Reichsregierung über den Schutz der Spar- und Bankguthaben, der Kriegsanleihen und Beamtengehälter, 15.11.1018, in: Sparkasse. Volkswirtschaftliche Zeitung, Nr. 874, 01.12.1918.
[5] Vgl. Ashauer, 1991, S. 226.
[6] Vgl. Denkschrift 100 Jahre Landständische Oberlausitzer Provinzial-Sparkasse zu Görlitz 1. Oktober 1830-1930, 1930, S. 12.
[7] Vgl. Falk, Beatrice/ Hauer, Friedrich: Mit 12 Talern fing alles an. Zur Geschichte der Niederschlesischen Sparkasse, 2001, S. 68.
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